Da es im Projekt draufhaber.tv insbesondere um nutzergenerierte Medieninhalte von Jugendlichen auf einer Community-Plattform geht, beschäftigen wir uns auch mit der Frage, ob, und wenn ja, wie sich ein Verfallsdatum für bestimmte Inhalte auf der Plattform umsetzen lässt.
Elektronisch verfügbare Inhalte sind - wenn man von verlustbehafteten Formatkonvertierungen und Beschädigungen an sämtlichen Speichermedien absieht - in gleichbleibender Qualität beliebig lange verwendbar. So können sich etwa Jugendsünden, die durch Mitschüler filmisch dokumentiert und ins Internet gestellt wurden, auch noch nach vielen Jahren schädlich auf die eigene Darstellung im Netz auswirken.
Gibt es eine technische Lösung für diese Problemstellung? Kann man das Internet durch Verschlüsselung und Digitales Rechte- (bzw. Beschränkungs-) Management (DRM) etwas vergesslicher machen? Kann es gar so etwas wie einen digitalen Radiergummi geben?
Die an der Universität Saarbrücken entwickelte Software X-Pire, die nach der am 11.01.2011 vom BMELV organisierten Dialogveranstaltung “Verbraucher im Netz” eine hohe Medienbeachtung fand (angefangen mit der Süddeutschen), verspricht “Bilder mit einem digitalen Verfallsdatum”. Inwieweit kann die Software die Versprechen einlösen?
Ein kurzer Testlauf der X-Pire Firefox-Erweiterung im ifib machte deutlich, dass die Installation und Nutzung der Software - zumindest im derzeitigen Entwicklungsstadium - einige über Basiswissen hinausgehende IT-Kenntnisse voraussetzt. Es kann auch nach Verbesserungen der Benutzerschnittstelle nicht erwartet werden, dass sich die Software nahtlos in gewohnte Abläufe in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Flickr einbinden lässt. Nicht zuletzt die vorgesehene Mensch-oder-Maschine-Prüfung durch CAPTCHA und die unumgehbare Zwischenschaltung eines Schlüsselservers stellen erhebliche Einschränkungen des Nutzungskomforts dar.
Bild: Blick in eine verschlüsselte X-Pire-Bilddatei
Die durch IT-Fachleute und Journalisten getroffenen Einschätzungen reichen von milder bis zu vernichtender Kritik (SPON titelte: “Warum der Radiergummi fürs Web versagen muss”). Wesentliche Kritikpunkte sind:
(a) Nutzerinnen und Nutzer, die Inhalte einstellen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wer diese Inhalte später einmal sehen könnte, werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für Verfallsdaten interessieren und erst recht nicht kostenpflichtige (Abo!) Spezialsoftware einsetzen.
(b) Schlüsselserver bieten ein interessantes Angriffsziel. Etwa könnten gefälschte Firefox-Erweiterungen und Plugins und Erweiterungen für andere Browser Schlüssel einsammeln und auf Servern des Angreifers speichern. Ein ähnlicher Einwand wurde auch schon gegen das an der Universität Washington entwickelte komplexere Vanish-System vorgebracht.
(c) Der Schlüsselserver-Betreiber wäre in der Lage, detaillierte Nutzungsdaten zu sammeln.
(d) Wenn die Schlüsselserver-Infrastruktur zerstört würde, könnten keine der geschützten Daten mehr angezeigt werden.
(e) Es besteht kein Schutz gegen Bildschirmaufzeichnungen und automatisierte Verfahren, die in der Lage sind, CAPTCHA-Aufgaben zu lösen.
Eine DRM-basierter Ansatz wie bei X-Prire erscheint nach alldem für draufhaber.tv nicht als geeignet.
Auf welche andere Weise könnte mit dem Problem umgegangen werden?
Es ist wohl nicht praktikabel, generell das Erreichen der Volljährigkeit mit einer Namensänderung zu verbinden (Vorschlag von Google CEO Eric Schmidt).
Einige Kleinigkeiten können ohne Bedienbarkeitseinschränkungen technisch umgesetzt werden. Zum einen sollte bei der Datenübertragung TLS / https verwendet werden, soweit dies serverseitig geleistet werden kann. Zum anderen sollte für bestimmte Kategorien von Mediendateien (etwa Entwürfe) eine Frist voreingestellt werden, nach der die Dateien vom Server entfernt werden (verbunden mit einem Nutzerhinweis und einer Verlängerungsmöglichkeit).
Wichtiger als Technik dürfte bei einer Internet-Community mit Jugendlichen allerdings eine regelmäßig anwesende Moderation und Unterstützung sein (ggf. auch Online-“Streetworker”). Nicht zuletzt ist die Vermittlung von Medienkompetenz, insbesondere durch Elternhaus, Schule und gemeinnützige Organisationen, wichtiger als jede nachträgliche technische Schadensbegrenzungsmaßnahme.
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