Evaluation und Novellierung des Bremer Informationsfreiheitsgesetzes liefern wertvolle Hinweise für aktuelle Open Government Data Initiativen (Teil 2)
Das 2006 verabschiedete Bremer Informationsfreiheitsgesetz hat mit der Verpflichtung der Behörden zur pro-aktiven Veröffentlichung bestimmter Arten von Dokumenten und dem zentralen Zugriff über ein gemeinsames Register als erste und bisher einzige gesetzliche Regelung in Deutschland wesentliche Punkte realisiert, die aktuell unter der Bezeichnung Open Government Data gefordert und von der Bundesregierung angekündigt werden. Im ersten Teil dieses Berichts wurde behauptet, dass man bei der Planung und Umsetzung einer Open Government Data Plattform viel aus den Bremer Erfahrungen lernen kann. Dies ist deshalb möglich, weil diese Erfahrungen in einer wissenschaftlichen Evaluation durch das ifib aufgearbeitet und aufbereitet worden sind. Sie sind zwar schon im Juni des vergangenen Jahres auf der Konferenz Informationsfreiheit - die nächste Generation vorgestellt worden, zu der der Landesbeauftragte für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern eingeladen hatte (http://www.lfd.m-v.de/dschutz/veransta/inffrei/index-inf.html) Aus aktuellem Anlass wird nun auch der vollständige Bericht zugänglich gemacht, den Herbert Kubicek und Barbara Lippa in Zusammenarbeit mit Vertretern der Senatorin für Finanzen und der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit erstellt haben
Die erste sozialwissenschaftliche Evaluation eines IFG
Weil es unterschiedliche Bedenken bei den parlamentarischen Beratungen des BremIFG gab, wurde als Kompromiss eine Befristung auf sechs Jahre und in § 13 die Verpflichtung zu eine wissenschaftlichen Überprüfung der Auswirkungen dieses Gesetzes nach vier Jahren vorgeschrieben. Um diese auf eine solide Grundlage zu stellen, hat die zuständige Senatorin für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen das Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib) mit dieser wissenschaftlichen Evaluation beauftragt. Zum ersten Mal wurde damit in der Geschichte der deutschen Informationsfreiheitsgesetze eine Evaluation auf empirischer sozialwissenschaftlicher Basis vorgenommen.
Die vorgeschriebene Überprüfung der Auswirkungen geht weit über eine Analyse der Inanspruchnahme hinaus. Gedacht hatte der Gesetzgeber in erster Linie an die (teilweise befürchteten negativen) organisatorischen und finanziellen Auswirkungen auf die Behörden. Aber zur Evaluation der Auswirkungen gehört auch die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger die neuen Rechte überhaupt wahrnehmen, und zwar im doppelten Sinne des Wortes, also erstens kennen und zweitens dann auch nutzen. Daher wurden für die Evaluation mehrere Erhebungen kombiniert:
- In einer repräsentativen telefonischen Bevölkerungsumfrage wurden die Bekanntheit des Gesetzes sowie des zentralen elektronischen Informationsregisters, die Kenntnisse über die Inhalte des Gesetzes, bisheriger Informationsbedarf sowie das Informationsverhalten der Bürgerinnen und Bürger, aber auch mögliche Nutzungsbarrieren ermittelt.
- In einer Online-Befragung wurden die Benutzerinnen und Benutzer des zentralen Registers nach ihrer bisherigen Nutzung und Zufriedenheit mit diesem Angebot befragt. Ferner wurden hier auch Einstellungen in Bezug auf das Gesetz sowie zur Politik und Verwaltung selbst abgefragt.
- Durch eine Logfile-Analyse wurden die Zugriffe auf das Register ermittelt.
- Eine schriftliche Befragung der Bremischen Behörden sowie vertiefende Interviews mit den IFG-Beauftragten der Ressorts bezogen sich auf die interne Organisation zur Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen sowie die Arbeitsschritte, Aufwände und eventuellen Probleme im Zusammenhang mit den Veröffentlichungspflichten und der Antragsbearbeitung.
Nicht behandelt wurden in dieser Evaluation die rechtlichen Fragen nach der angemessenen Formulierung und Gewichtung der Verweigerungsgründe sowie einzelne Unklarheiten in der Gesetzesformulierung, die im Zuge der Anwendung des Gesetzes festgestellt wurden. Hierzu hat die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit einen eigenen Bericht vorgelegt.
Befunde und Empfehlungen
Der etwas über 100 Seiten umfassende Bericht gibt die Befunde dieser Erhebungen ausführlich wieder und leitet daraus eine Reihe von Empfehlungen für eine Novellierung ab. So wird ua. festgestellt und empfohlen:
- Die im Gesetz vorgesehene statistische Erfassung der Anträge liefert keine validen Daten, da vielfach Auskünfte gegeben, aber nicht erfasst werden. Daher kann in Zukunft darauf verzichtet werden.
- Die Bezeichnung Informationsfreiheitsgesetz wird teilweise missverstanden als Garantie des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Daher sollte in der Kurzbezeichnung des novellierten Gesetzes der Zugang betont werden (Bremer Informationszugangsgesetz).
- Das zentrale Informationsregister kannten in der repräsentativen Telefonumfrage mehr Bürgerinnen und Bürger als das Gesetz. Es wird in der Telefonumfrage und von den Nutzern positiv gewürdigt. Im Detail sollten die Suchfunktion und die Darstellung der Ergebnisse allerdings noch weiter verbessert werden.
- Die im Gesetz als Regelfall vorgesehene Antragstellung ist in der Praxis die Ausnahme. Die Anzahl der Suchanfragen im zentralen Register beträgt ein Vielfaches der Anzahl der gestellten Anträge. Insofern hat sich dieser Ansatz zweifelsfrei bewährt. Der Katalog der zu veröffentlichenden sonstigen Dokumente in der entsprechenden Rechtsverordnung sollte erweitert werden.
- Auf der Seite der Verwaltung hält sich der Aufwand nicht nur wegen der geringen Anzahl von Anträgen in Grenzen. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit für das Heraussuchen und Prüfen begehrter Dokumente liegt bei drei Stunden.
- Bei der pro-aktiven Veröffentlichung gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ressorts. Hier besteht auch Unsicherheit, was mit den im Gesetz so genannten sonstigen Dokumenten gemeint ist. Daher werden eine klarere formulierte Anordnung und eine ergänzende Schulung vorgeschlagen.
- Insgesamt wird in den Behörden zwar eine Tendenz hin zu mehr Veröffentlichung über das Internet festgestellt. Diese mündet jedoch nicht immer auch in das zentrale Informationsregister. Dazu ist noch mehr Aufklärungsarbeit in den Behörden zu leisten.
- Die Rolle der vom Gesetz vorgesehenen IFG Beauftragten in jeder Behörde wird von den betroffenen Personen und den Behördenleitungen unterschiedlich wahrgenommen. Oft führen sie nur die Statistik. Ihre Rolle könnte stärker in der Vermittlung zwischen Bürgern und den Stelle, die über die begehrten Information verfügen, bestehen.
Umsetzung der Empfehlungen in der Gesetzesnovellierung
Der Evaluationsbericht wurde der Senatorin für Finanzen im Februar 2010 übergeben. Im April 2010 hat der Senat die Bürgerschaft über die Ergebnisse und die daraus zu ziehenden Konsequenzen unterrichtet (Drucksache 17/1279 v. 27.4.2010). Er hat sich dabei weitestgehend den Empfehlungen des ifib angeschlossen.
Im September 2010 hat der Senat dann der Bürgerschaft einen Entwurf für das erste Gesetz zur Änderung des Bremer Informationsfreiheitsgesetzes zugeleitet. Darin wurden die Empfehlungen, die den Gesetzestext betreffen, konkret umgesetzt. Insbesondere wurde die Liste der zu veröffentlichenden Dokumente ausgeweitet. Der entsprechende Absatz in § 11 soll nun lauten (Änderungen fett):
“(4) Die Behörden sollen die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Pläne, Verzeichnisse und Verwaltungsvorschriften sowie weitere geeignete Informationen ohne Angaben von personenbezogenen Daten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen in elektronischer Form zugänglich machen und an das elektronische Informationsregister nach Absatz 5 melden. Weitere geeignete Informationen sind insbesondere Handlungsempfehlungen, Statistiken, Gutachten, Berichte, Broschüren, bei den Behörden vorhandene gerichtliche Entscheidungen, Informationen, zu denen bereits nach diesem Gesetz Zugang gewährt wurde, Senatsvorlagen nach Beschlussfassung, Mitteilungen an die Bürgerschaft sowie Unterlagen, Protokolle und Beschlüsse öffentlicher Sitzungen. “
Viele andere Empfehlungen müssen nicht durch Änderungen des Gesetzestextes umgesetzt werden, sondern durch die konkretisierenden Verordnungen, Organisationsanweisungen, technische Änderungen und konkretes Tun.
Maschinell weiterverarbeitbare Formate
Der von der Open Data Bewegung geforderte Zugang zu Daten in maschinell weiterverarbeitbaren (offenen) Formaten wird in der Evaluation nicht explizit angesprochen. Rechtlich stehen dem keine Formulierungen des Gesetzes in der alten wie in der vorgeschlagenen neuen Fassung entgegen. Gegenstand sind amtliche Informationen. Diese werden in § 1 definiert als jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art der Speicherung. Dazu gehören Akten, Briefe und andere Schriftstücke, Broschüren, Karteikarten und auch Daten in Datenbanken. Das bisher vor allem PDF-Dokumente veröffentlicht werden, liegt zum einen an dem noch kurzen Katalog der zu veröffentlichenden Dokumenten und an einer noch fehlenden Nachfrage nach anderen Formaten. Mit der beabsichtigten Erweiterung der Katalogs dürfte sich dies ändern. In der Bremer Empfehlung zu Open Government Data hat die Senatorin für Finanzen angekündigt, diese Forderung der Open Data Initiativen zu unterstützen und zusammen mit den IFG-Beauftragten nach praktikablen Lösungen zu suchen. Den die Umsetzung dieser Forderung ist nicht trivial, weil viele noch in Betrieb befindliche Datenbanken gar keine Export-Schnittstellen haben.
Weitere Beiträge zum Thema: E-Democracy • E-Government • Informationsfreiheit Zuordnung: Kommentare • Nachrichten • Studien • Veröffentlichungen • Vorträge Adressaten: Öffentliche Verwaltung
(0) Kommentare • Permalink
© 2008 XHTML . CSS .
Powered by ExpressionEngine