Sie sind hier:  
  1. ifib-research
  2. Blog
  3. Detail

Änderungen in der Barrierefreiheit

Durch die Herausgabe der EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen vom 02.12.2016 wurden auf EU-Ebene Änderungen für den Bereich Barrierefreiheit angestoßen, die sich jetzt auch in der BITV wiederfinden. Die EU-Richtlinie musste bis zum 23.09.2018 in nationales Recht umgesetzt werden, was in Deutschland auf Bundesebene zu einer Überarbeitung des BGG (Juli 2018) und der BITV (Mai 2019) führte.

 

Die EU-Richtlinie gilt für Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen. Sie beinhaltet folgende Punkte:

  • Bereitstellen einer Online-Erklärung über den Barrierefreiheitsgrad der Angebote
  • Die Integration eines Feedbackmechanismus
  • Einen Bericht der Mitgliedsstaaten an die Kommission zum Umsetzungsstatus (alle drei Jahre)
  • Die Vorsehung eines Durchsetzungsverfahrens zur Einhaltung von Anforderungen

 

 

 

Öffentliche Stellen des Bundes sind nicht nur die Einrichtungen der Bundesverwaltung, sondern auch die Stellen, die das Vergaberecht anzuwenden haben und dem Bund zuzurechnen sind (siehe: § 12 BGG). Auf Landesebene sind die Bundesländer für öffentliche Stellen zuständig.

 

Laut BGG müssen Websites (inklusive Intranets und Extranets), Apps sowie elektronische Verwaltungsabläufe (z. B. Verfahren zur elektronischen Vorgangsbearbeitung und elektronischen Aktenführung, elektronische Zeiterfassung, …) barrierefrei gestaltet werden (vgl. § 12a Absatz 1 BGG). Hiervon betroffen sind laut BITV 2.0 auch rein intern genutzte Apps. Es gibt somit bei der barrierefreien Gestaltung keinen Unterschied mehr zwischen Internet und Intranet, sowie ebenso wenig zwischen öffentlich und nicht-öffentlich zugänglichen mobilen Anwendungen. Die Umsetzungen im deutschen Recht sind hierbei strenger, als von der EU-Richtlinie gefordert.

 

Laut BITV 2.0 sind diejenigen Inhalte auf Websites und in Apps von einer barrierefreien Gestaltung ausgenommen, für die auch die EU-Richtlinie Ausnahmen zugelassen hat (vgl. § 2 Absatz 2). Das betrifft:

  • In bestimmten Fällen die Reproduktion von Stücken aus Kulturerbesammlungen
  • Digitale Archive, deren Inhalte für aktive Verwaltungsverfahren nicht benötigt werden, und die nicht nach dem 23. September 2019 aktualisiert oder überarbeitet wurden
  • Websites und mobile Anwendungen einer Rundfunkanstalt des Bundesrechts wie der Deutschen Welle.

 

 

 

Zudem kann für den Erhalt der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte die Bundesministerin oder der Bundesminister der Verteidigung weitere Ausnahmen von der BITV 2.0 festlegen (§ 2 Absatz 3).

 

Zu der elektronischen Vorgangsbearbeitung zählen laut BITV 2.0 unter anderem (§2a Absatz 4):

  • die Zuweisung und der Transport von Dokumenten an bearbeitende Personen,
  • die Bearbeitung dieser Dokumente,
  • die Darstellung von Prozessen, Organigrammen und Verantwortlichkeiten,
  • die Terminplanung und
  • die Protokollierung.

 

 

 

Elektronische Aktenführung im Sinne der BITV 2.0 ist die systematische und programmgestützte Vorhaltung und Nutzung von Dokumenten in elektronischer Form, beispielsweise mittels Dokumentenmanagementsystemen (vgl. §2a Absatz 5).

 

Eine weitere große Änderung in der BITV 2.0 ist die Streichung der bisher enthaltenen Anlage 1 und somit der enthaltenen Prinzipien. In der neuen Fassung wird auf harmonisierte europäische Normen sowie den „Stand der Technik“ verwiesen. Hierbei wird vermutet, dass Anwendungen barrierefrei sind, wenn sie diesen Normen oder Teilen der Normen entsprechen und diese wiederum im Amtsblatt der EU genannt wurden. Unter Stand der Technik wird verstanden, was technisch möglich ist, und nicht, was sich schon durchgesetzt hat.

 

Als Norm wird in der EU-Richtlinie die EN 301 549 in der Version V2.1.2 (2018-08) angegeben. Diese folgt weitestgehend den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1, kennt aber das dort beschriebene Level AAA nicht. Bei zentralen Navigations- und Einstiegsangeboten sowie Formularen und anderen interaktiven Prozessen auf Websites muss ein noch höheres Maß an Barrierefreiheit (vgl. § 3 Absatz 4) eingehalten werden, welches dem Level AAA der WCAG 2.1 entsprechen dürfte.

 

Ebenfalls schreibt die neue BITV 2.0 vor (siehe §7), dass die (jährlich zu aktualisierende) Erklärung über die Barrierefreiheit einer Website von der Startseite und jeder Seite dieser Website aus erreichbar sein muss. Bei mobilen Anwendungen ist die Erklärung an der Stelle, wo die Anwendung heruntergeladen werden kann, oder auf der Website der betreffenden öffentlichen Stelle zu veröffentlichen. Die wesentlichen Inhalte dieser Erklärung müssen auch in Deutscher Gebärdensprache (DGS) und in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden. Daneben sind auch die schon bisher vorgeschriebenen Inhalte in DGS und Leichte Sprache zu übertragen. Diese sind: Informationen zu den wesentlichen Inhalten der Website, Hinweise zur Navigation sowie ein Hinweis auf ggf. weitere Informationen in DGS oder Leichter Sprache, die auf der Website oder in der App verfügbar sind. Ebenso wie die Erklärung muss auch der Feedback-Mechanismus von jeder Seite einer Website unmittelbar erreichbar sein, bei Apps genügt die Integration in die Navigation.

 

Seit der Überarbeitung des BGG gibt es für alle digitalen Anwendungen eine Ausnahmeregelung (§ 12a Absatz 6 BGG), falls die barrierefreie Gestaltung zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würde. Diese ist aber nur in Ausnahmefällen, nach Abwägung verschiedener Kriterien (teils durch die EU-Richtlinie vorgegeben) anwendbar. Keine Gründe für eine Ausnahmeregelung sind: Mangelnde Priorität; fehlende Zeit; fehlende Kenntnis; die Annahme, dass bestimmte Inhalte Menschen mit Behinderungen nicht treffen würden. Und selbst bei Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung kann nicht auf eine barrierefreie Gestaltung verzichtet werden, sondern nur der Umfang ist zu reduzieren.

 

Weiterhin gibt es auch Neuerungen, die die Wirtschaft betreffen. So wurde am 17.04.2019 die EU-Richtlinie 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte (Hardware, Betriebssysteme, E-Book-Lesegeräte oder Selbstbedienungsterminals, …) und (webbasierte) Dienstleistungen (elektronischer Handel, Online-Bankwesen, audiovisuelle Mediendienste, E-Books, …) verabschiedet. Zukünftig müssen jetzt auch diese barrierefrei in den Verkehr gebracht werden, um den Handel zwischen den Staaten zu vereinfachen. Die Richtlinie muss bis zum 28.06.2022 in den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.

 

Nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs der neuen BITV 2.0 gab es bereits Kritik. Einerseits bezieht sich diese auf die Streichung der Anlage 1 und die fehlenden Benennungen der relevanten Normen und Kriterienkataloge in der BITV 2.0 selbst (siehe z.B. die Stellungnahme des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V.). Ein relevanter Aspekt dabei ist, dass sowohl die EN 301 549 als auch die WCAG 2.1 nur in englischer Sprache vorliegen, was den Geltungsbereich im deutschsprachigen Raum einschränken könnte.

 

Es bleibt spannend, abzuwarten, wie die Umsetzung der neuen Vorschriften in der Realität aussieht. Ob es die Barrierefreiheit voran- oder nur mehr Unklarheiten hervorbringt, muss sich erst noch herausstellen.

 

Quellen:

 

Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung - BITV 2.0)

 

FAQ zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen

 

Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) $12a

 

BIK für Alle: Weltweiter Standard: Web Content Accessibility Guidelines

 

Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen

 

Stellungnahme des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten zum Vorentwurf zur Änderung der BITV 2.0



Barrierefreiheit und Usability