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Fake Verlage - Die Skandalisierung ist der Skandal

Am 19. 7. meldete die Tagesschau: Mehr als 5000 Wissenschaftler deutscher Hochschulen haben Forschungsarbeiten bei scheinwissenschaftlichen Verlagen veröffentlicht. Experten sprechen von einem "Desaster für die Wissenschaft". 

 

Gestern Abend konnte man die ganze Story in der ARD sehen – einem Sender, dem das Bundesverfassungsgericht gerade eine unverzichtbare Funktion in einer von Fake News bedrohten Nachrichtenwelt bescheinigt hat: Weil ein unseriöser Verlag Beiträge veröffentlicht hat, die nicht durch einen Peer Review geprüft wurden, hat eine krebskranke Journalistin den durch eine unseriöse Studie belegten Heilungsversprechen eines Nahrungsergänzungsmittels vertraut und ist dennoch gestorben. Eine Kollegin beginnt daraufhin den Kampf gegen unseriöse Verlage und weist nach, dass man dort totalen Nonsens veröffentlichen kann. Das Netzwerk Recherche findet heraus, dass es mehrere solche Verlage gibt, die die ungeprüfte Veröffentlichung als Geschäftsmodell betreiben und dass in Deutschland alleine 5.000 Wissenschaftler/innen dort veröffentlicht haben.  Daraus wird geschlossen, dass die Kontrollmechanismen der Wissenschaft versagen und gefragt, wer noch wissenschaftlichen Studien glauben soll, wenn so etwas möglich ist. Die Politik ruft die Wissenschaft zu Korrekturen auf, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren.

 

Nach meiner Überzeugung wird hier ein Skandal inszeniert, indem von wenigen schwarzen Schafen ohne wissenschaftlichen Nachweis unzulässige Schlussfolgerungen auf die gesamte Wissenschaft gezogen werden, die sehr viel größere Bedrohung wissenschaftlicher Unabhängigkeit aber nicht einmal angesprochen wird.  Die Kritik selbst hält den einfachsten wissenschaftlichen Kriterien nicht stand:

  • 5.000 Beiträge in solchen Verlagen klingt viel. Aber über wie viele Jahre wird hier gezählt und wie viele Publikationen sind in diesem Zeitraum überhaupt von Wissenschaftlern deutscher Hochschulen erschienen. Sprechen wir von Prozenten oder nur Promillen und darf man deswegen von einer Bedrohung der Glaubwürdigkeit der Wissenschat sprechen?
  • Wenn man in einem Verlag Nonsens-Beiträge unterbringen kann, lässt dies keinen Schluss sauf die Qualität der anderen dort veröffentlichten Beiträge zu. Für eine pauschale Verurteilung wäre eine Qualitätskontrolle der Beiträge ganzer Jahrgänge erforderlich.
  • Wenn Peer Reviews zum alles entscheidenden Qualitätskriterium erklärt werden und zum Schutz vor dem Einfluss von produzierenden Unternehmen, hätte die Gegenprobe gemacht werden müssen: Wie viele Auftragsstudien von Pharma-, Lebensmittel- und Automobilkonzernen, die nur die positiven Wirkungen der Produkte nachweisen, sind in Fachzeitschriften mit Peer Reviews erschienen?

 

Die Autorin ist keine Wissenschaftlerin und hat das Wissenschaftssystem nicht verstanden. Sie erhebt das Peer Review Verfahren zum alles entscheidendes Kriterium und verkennt seine Bedeutung und geht mit keinem Wort auf die durchaus auch existierende Kritik und die Schwächen in der Praxis dieses Verfahrens ein, die man schnell in dem entsprechenden Wikipedia-Beitrag, besser in Studien zur Wissenschaftssoziologie nachlesen kann (Z.B. Hirchhauser: Peerv Review Verfahren auf dem Prüfstand).

 

Nicht zwei Fachkollegen in einem Peer Review entscheiden über die wissenschaftliche Qualität eines Beitrags. Sie dienen nur als Filter um vor allem handwerkliche Mängel zu entdecken. Die Qualitätssicherung erfolgt, wenn man so will, in einem Crowd Sourcing Prozesse in den wissenschaftlichen Fachgemeinschaften, durch Zitate oder Kritiken von Kollegen und Nachwuchswissenschaftler/innen, Replikationen, Metastudien u.a.m. Sie alle erkennen unseriöse Studien und Veröffentlichungen. Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft wird nicht durch die wenigen schwarzen Schafe gefährdet, sondern durch den zunehmenden Einfluss der Wirtschaft auf die Forschung angesichts der sinkenden öffentlichen Mittel für eine wirklich unabhängige Forschung. Wenn Politik zur Glaubwürdigkeit beitragen will, soll sie sich nicht weiter aus der Finanzierung zurückziehen und diese mehr oder weniger seriösen Konzernen überlassen. 

 

Schriftleitung statt Peer Review auch unseriös?

 

Und eine noch praktische Frage die ich mir stellen muss. Wenn Peer Reviews das alles entscheidende Kriterium für Seriosität sind, dann hätte ich meine letzten Publikationen auch in unseriösen oder unwissenschaftlichen Verlagen veröffentlicht: Springer und Nomos, die das Informatik Spektrum und Verwaltung & Management herausgeben. Anstelle von Fachkollegen prüft hier eine Schriftleitung die Einreichungen. Ist das auch unseriös oder zumindest verdächtig? 



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