Am 10. Juni 2015 hatte ich die Ehre und das Vergnügen, auf dem 7. Bayerischen Anwenderforum eGovernment im Schloss Nymphenburg in München einen eingeladenen Vortrag zu dem vorgegebenen Thema “Flickenteppich E-Government – Was können E-Government-Gesetze ändern?” zu halten. Ausgangspunkt waren das EGovG des Bundes von 2013 und das des Freistaats Sachsen aus 2014 sowie der gerade in die Verbändeanhörung gegebene Entwurf für ein bayerisches EGovG, das demnächst in den Landtag eingebracht werden soll. Mehrere Vertreter des zuständigen Finanzminsteriums äußerten die Überzeugung, ihr Entwurf gehe insofern weiter als die bisherigen Gesetze, indem er nicht die Verwaltung in den Vordergrund stelle, sondern den Bürgerinnen und Bürgern digitale Rechte, z. B. auf digitale Unterschrift und Identifizierung einräume. Nach fast 20 Jahren Erfahrung mit E-Government Projekten sah ich mich veranlasst, diese Hoffnung zu dämpfen. Zum einen bezweifele ich, ob gerade neue Authentifizierungsverfahren – mit oder ohne Recht darauf – etwas ändern, und zum anderen halte ich grundsätzlich die Back-Office-Integration für sehr viel wichtiger für bürgerfreundliches E-Government als Front-Office Portale und die Authentifizierung.
Was ändern weitere Authentifizierungsverfahren?
Behörden werden nun verpflichtet, neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch einen Zugang mit dem neuen Personalausweis und per DE-Mail zu eröffnen. Nach meiner Einschätzung führt das weder zu weiteren Diensteangeboten noch zur stärkeren Nutzung vorhandener Dienste. Denn auch für diese Verfahren müssen sich die Bürgerinnen und Bürger für etwas registrieren und ggfs. für etwas bezahlen, das sie nicht verstehen und was nicht Ihnen, sondern nur der Verwaltung dient. Da sie alle Verwaltungsleistungen auch ohne diesen Zusatzaufwand in Anspruch nehmen können, gibt es für die meisten keinen Grund, bisherige Verhaltensweisen bei den eher seltenen Verwaltungskontakten zu ändern.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde auf den Erfolg von ELSTER mit zwei Millionen Authentisierungen pro Jahr verwiesen. Auf den Einwand, dass diese vor allem mit ELSTER-Softwarezertifikaten erfolgt sind, wurde erwidert, genau dies sei mit dem neuen Bayernportal auch für andere E-Government-Dienste vorgesehen. Allerdings wolle man das nicht in das Gesetz schreiben, um es technologieneutral zu halten - obwohl dort ja DE-Mail explizit erwähnt wird. Die Gleichstellung solcher fortgeschrittener Signaturen wäre ein effektiver Beitrag zum Abbau von Barrieren. Ebenfalls sinnvoll, aber keine Alternative dazu ist der mit dem bayerischen E-Gov-Gesetz vorgenommene Abbau von ca. 40 gesetzlichen Schriftformerfordernissen.
Gemeinsame Verfahren – im Frontoffice und/oder Backoffice
In zwei Projekten für die Europäische Kommission hat das ifib schon vor mehreren Jahren EU-weit Beispiele guter Praxis der Backoffice Integration und zur Interoperabilität im E-Government gesucht und aufbereitet. Mein Lieblingsbeispiel ist die Beantragung von Kindergeld in Irland:
Eltern können entweder mit einer elektronischen Authentifizierung den Antrag schon im Krankenhaus unterschreiben oder dies innerhalb einiger Wochen persönlich auf der Meldestelle nachholen. Die Daten zu den Eltern und dem Kind werden in beiden Fällen nur einmal im Krankenhaus eingegeben und dann schrittweise beim Standesamt und der Meldestelle registriert und auf dem Antrag ergänzt bis dieser bei der für das Kindergeld zuständigen Stelle landet.
In der deutschen Diskussion gab es einmal den Slogan “Die Daten sollen laufen, nicht die Bürger”. Außer bei der Rückmeldung ist dieses Prinzip nicht umgesetzt worden, und die E-Governmentgesetze beinhalten dazu entweder keine oder nur indirekte Regelungen. Zwar gibt es in allen drei Gesetzen einen Paragraphen zu Gemeinsamen Verfahren. Dort wird jedoch vor allem die datenschutzrechtliche Verantwortung geregelt. Das Sächsische Gesetz beinhaltet im Gegensatz zum Bundesgesetz jedoch eine Experimentierklausel, die befristete Veränderungen von Zuständigkeiten erlaubt. Im bayerischen Entwurf findet man eine ähnliche Regelung versteckt in den Schlussbestimmungen. Das lässt vermuten, dass man solchen Experimenten keinen hohen Stellenwert beimisst. Das wäre jedoch ein strategischer Fehler.
Ohne Reorganisation kein signifikanter Fortschritt
In den Unternehmen weiß man seit 30 Jahren, dass der Nutzen des IT-Einsatzes oft erst eintritt, wenn die Organisation verändert wird. Später hieß das Process-Reengineering. Das gilt selbstverständlich auch für das E-Government, scheint aber für die Autoren dieser Gesetze nicht selbstverständlich. Sie begnügen sich damit, Instrumente zur Digitalisierung der vorhandenen Prozesse anzubieten. Das sächsische Gesetz sieht immerhin einen IT-Kooperationsrat aus Vertretern des Landes und der Kommunen vor, der auch Interoperabilitätsfragen behandeln soll. Aber eine Verpflichtung oder auch nur Anreize zur bereichs- und ebenenübergreifenden Reorganisation von Prozessen beinhalten alle drei E-Gov-Gesetze nicht. Die Experimentierklauseln würden das ermöglichen. Aber dauerhaften Veränderungen stehen die in Artikel 28 Grundgesetz verankerte Kommunale Selbstverwaltung und das damit verbundene Gebietsmonopol wohl entgegen.
In mehreren Vorträgen wurde vor den disruptiven Folgen der Digitalisierung gewarnt, weil branchenfremde Anbieter mit neuen Geschäftsmodellen über das Internet ganze Branchen in Bedrängnis bringen können. Die Kommunalverwaltung muss das nicht befürchten. Sie kann unbesorgt an ihren bisherigen Prozessen und Geschäftsmodellen festhalten. Der Gesetzgeber kann sie bei der Ausführung von Bundesrecht, wie im Fall der Rückmeldung zwingen, mit vorgegebenen Prozessen und standardisierten Datenformaten die Bürger von vermeidbaren Formularen zu entlasten. Aber in allen anderen Bereichen fehlt der notwendige politische Druck, der im Meldewesen dazu geführt hat.
Die E-Government-Gesetze werden den Flickenteppich E-Government nicht verändern. Sie machen eher selbst den Eindruck eines Flickenteppichs, da ihnen ein Gesamtkonzept fehlt. Vermutlich werden wir nach media@Komm, Bund-Online und kaum noch zählbaren E-Government-Programmen auch in zehn Jahren noch die geringe Nutzung von E-Governmentdiensten im Vergleich zu allen anderen Dienstleistungen beklagen.