Zur Zwischenevaluation der Bremer Herbsthelfer
Die ifib consult war 2018 von der Senatorin für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen beauftragt worden, das Vorhaben „Herbsthelfer – Bremer Verbund für Seniorendienstleistungen“ zu begleiten und zu evaluieren. Der Verbund vereinigte insgesamt sechs Teilprojekte mit unterschiedlichen Partnern und unterschiedlicher Finanzierung.
Teilprojekt | Beteiligte |
Lotsendienst in vier Stadtteilen mit jeweils einem DLZ (Kampagne 1 und 2) | SfF mit AWO, Caritas, DRK und Paritätische Gesellschaft als Träger je eines beteiligten Dienstleistungszentrums |
Mediendienst der Stadtbibliothek mit ausgewählten Standorten der Heimstiftung | Stadtbibliothek und Bremer Heimstiftung |
Formulardienst des Bürgertelefons Bremen (115) | Performa Nord und dieSenatorin für Finanzen |
Ummeldeservice vor Ort in ausgewählten Standorten der Heimstiftung | Bürgeramt und Bremer Heimstiftung |
Post persönlich | Deutsche Post mit Johanniter Unfallhilfe |
Bargelddienst der Sparkasse Bremen | Sparkasse Bremen und Deutsche Post |
Der Bericht der Zwischenevaluation kann auf der Homepage des Herbsthelfer-Verbundes (https://www.finanzen.bremen.de/organisation/herbsthelfer-61017) heruntergeladen werden. Dort sind auch alle Teilprojekte kurz beschrieben. Systematisch evaluiert wurden der Lotsendienst und der Mediendienst. Da in der Berichterstattung der lokalen Presse zwischen dem Lotsendienst und dem Angebot „Post persönlich“ teilweise nicht genau unterschieden wurde, soll hier Klarheit geschaffen werden. Zumal das Scheitern von „Post Persönlich“ auch mit Fragen zur Finanzierung aus öffentlichen Mitteln verknüpft wurde. Dabei geht es vor allem um die Frage, nach welchen Kriterien beurteilt werden sollte, ob ein Pilotprojekt gescheitert ist oder nicht.
Ausgangspunkt für das Lotsenprojekt war die Feststellung, dass Bremen mit seinen 17 Dienstleistungszentren eine in Deutschland einmalige quartiersbezogene Altenhilfe bietet. In jedem Stadtteil gibt es ein Dienstleistungszentrum (DLZ), das älteren Menschen unentgeltliche Beratung in allen Fragen des Älterwerdens und die Vermittlung ehrenamtlicher Nachbarschaftshilfe anbietet. Bisher nehmen nur drei bis fünf Prozent der älteren Menschen in den Stadtteilen dieses Angebot wahr. Der derzeitige Pool von rund 3.000 ehrenamtlichen Nachbarschaftshelfer*innen reicht allerdings nicht immer, um selbst diese relativ geringe Nachfrage decken zu können. Da frühzeitige Beratung die Chance bietet, dass ältere Menschen mit entsprechender Unterstützung länger selbstbestimmt in ihrer eigenen Wohnung bleiben können, ergibt sich daraus ein doppelter Handlungsbedarf: Zum einen muss das Beratungs- und Vermittlungsangebot besser bekannt gemacht werden und zum anderen müssen, um die dann höhere Nachfrage bewältigen zu können, mehr ehrenamtliche Nachbarschaftshelfer*innen gewonnen werden.
Bisher haben die Dienstleistungszentren mit nur geringem Erfolg versucht, bei beiden Zielgruppen mit unterschiedlichen Flyern und Plakaten zu werben. In einer vorgeschalteten Machbarkeitsstudie, die die ifib consult im Auftrag der Deutschen Post AG durchgeführt hatte, war untersucht worden, ob die Zusteller*innen der Deutschen Post die Resonanz auf solche Werbemaßnahmen verbessern können, wenn sie einen Flyer oder eine Postkarte nicht einfach in den Briefkasten werfen, sondern die Adressaten individuell ansprechen und das jeweilige Anliegen erläutern. Dies kann gelingen, wenn die Zusteller*innen in ihrem jeweiligen Zustellbereich potenzielle Nachbarschaftshelfer*innen und ältere Menschen mit einem potenziellen Beratungsbedarf (er)kennen und ihnen als Vertrauensperson eine Postkarte mit den richtigen Worten übergeben und zur Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen DLZ motivieren. In der Machbarkeitsstudie zeigten sich in zwei Fokusgruppen Briefzusteller*innen überzeugt, dass sie dies leisten können. Auf der Seite der DLZ und anderer Akteure in der Altenhilfe waren die Meinungen gespalten, je nachdem, ob man an Stammzusteller*innen dachte, die seit Jahren im selben Bezirk unterwegs sind, oder man den Eindruck hatte, dass zu oft gestresste Aushilfskräfte unterwegs sind.
Letztlich kann diese Frage aber nicht in Fokusgruppen und Experteninterviews geklärt werden, sondern nur durch einen Praxistest. Daher wurde vorgeschlagen, beide Ziele in zwei aufeinander folgenden Kampagnen zunächst nur mit jeweils einem DLZ der vier Träger zu erproben. Die Erfahrungen sollten dann ausgewertet werden, um sie anschließend mit jeweils einem weiteren DLZ in einem anderen Stadtteil mit den eventuell erkannten Verbesserungsmöglichkeiten umzusetzen oder im Falle des Scheiterns den Versuch auch abzubrechen.
Im Rahmen des Projektes wurde dementsprechend von den vier beteiligten DLZ in Findorff, Horn, Mitte und Neustadt eine Postkarte mit Informationen über das bezahlte Ehrenamt als Nachbarschaftshelfer*in und eine zweite Karte mit den Beratungsangeboten erarbeitet. Die Zusteller*innen in den entsprechenden Zustellbezirken wurden in diesen neuen Auftrag eingewiesen. Von April bis Oktober 2018 wurden die beiden Kampagnen durchgeführt. Im Rahmen der Evaluation haben die DLZ berichtet, wie viele Ehrenamtliche sich auf die Postkarten hin gemeldet haben und wie viele Beratungsgespräche aufgrund der anderen Postkarte stattgefunden haben. Das Ergebnis war in allen vier Stadtteilen und beiden Kampagnen sehr gering und bliebt unter den zu Beginn des Projektes getroffenen Zielwerten. Andere parallel genutzte Kommunikationskanäle durch die DLZ, wie eigene Kartenverteilung, aber auch Kleinanzeigen, hatten eine deutlich höhere Resonanz. Insgesamt wurden mehr als 6.000 Karten übergeben oder eingeworfen. Die Deutsche Post hat das Projekt mit eigenen Mitteln sowie der Bereitstellung von Personal und Logistik unterstützt.
In dem Evaluationsbericht werden die Ursachen gründlich untersucht. In den regelmäßig stattfindenden Projektbesprechungen mit SfF, Deutscher Post, den vier DLZ und ifib consult wurden schon während der Laufzeit beider Kampagnen Korrekturen vorgenommen. Im November 2018 wurde beschlossen, das Projekt zu beenden und auf die vorgesehene zweite Phase für 2019 mit neuen DLZ in anderen Stadtteilen zu verzichten.
Bei der Beurteilung, ob das Projekt gescheitert ist, muss man zwischen dem Output der Aktivitäten im Projekt (der Anzahl der gewonnen Ehrenamtlichen und der zusätzlichen Beratungsgespräche) auf der einen Ebene und dem Erkenntnisgewinn zu einem neuen Weg einer motivierenden Bürgerinformation auf der anderen Ebene unterscheiden. Die Resonanz war gering und konnte durch Korrekturen innerhalb dieser Kooperation auch nicht erhöht werden. Insofern hat das Projekt sein angestrebtes operatives Ziel nicht erreicht. Das heißt aber nicht, dass das Projektziel verfehlt wurde. Denn das übergeordnete Ziel war die Gewinnung praktischer Erkenntnisse und Evidenz zu einer strittigen Frage. Die Analyse der Gründe hat gezeigt, dass eine durchaus plausible Idee aus strukturellen Gründen von der Deutschen Post nicht flächendeckend umgesetzt werden kann. Diejenigen, die von Anfang an skeptisch waren, mögen argumentieren, dass man das Ergebnis gewusst habe. Doch das ist nicht der Fall. Erwartungen und subjektive Einschätzungen, die sich auf selektive Beobachtungen beziehen, sind kein Wissen. Klarheit konnte nur durch einen Praxistest gewonnen werden. Durch die zeitliche und räumliche Aufteilung in zwei Phasen wurde dabei ein Sollbruchstelle geschaffen, die dann auch nach der Bewertung der ersten Phase zum Tragen gekommen ist. Dadurch wurde der Aufwand in einem vertretbaren Rahmen gehalten. Und der ist nach meiner Auffassung voll und ganz zu rechtfertigen.
Es ist ein ungelöstes Problem, dass bei der motivierenden, auf Verhaltensänderungen zielenden Bürger- oder Verbraucherinformation, ob zu Fragen der Altenhilfe, zu Klimaschutz oder Ernährung, zur Gesundheitsvorsorge und vielen anderen Themen, gedruckte Flyer und Postkarten einen hohen Streuverlust aufweisen und nur geringe Resonanz erzielen. Die Option einer ansprechenden Übergabe solcher Informationsmittel durch die Zusteller*innen der Deutschen Post, die jeden Tag in den Quartieren unterwegs sind, könnte auch bei diesen anderen Themen ins Spiel gebracht werden. Der Evaluationsbericht dieses Praxistests belegt, dass dies mit der derzeitigen Betriebs- und Personalstruktur der Deutschen Post auch bei anderen Themen nicht gelingen kann. Dies ist eine durchaus wertvolle Erkenntnis für die gesamte Bremer Verwaltung und darüber hinaus.
Etwas anders stellt sich die Frage nach dem Scheitern des Projekts „Post persönlich“ dar, an dem die FHB weder inhaltlich noch finanziell beteiligt war. Dieses Projekt wurde zwischen der Deutschen Post und dem Hausnotrufdienst der Johanniter Unfallhilfe bilateral ausgestaltet und gemeinsam im Stadtteil Schwachhausen angeboten. Die Zusteller*innen sollten drei- oder fünf Mal in der Woche bei den Kund*innen klingeln und sich erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Bei Auffälligkeiten sollten sie den Hausnotrufdienst rufen, der dann den Fall übernimmt. Die Deutsche Post hatte mit einem ähnlichen Angebot schon einmal im Ruhrgebiet wenig Erfolg. Aus Frankreich wird hingegen über ein durchaus erfolgreiches Projekt der französischen Post berichtet. Weder die SfF noch ifib consult sind mit den Einzelheiten des konkreten Angebots und den insgesamt ergriffenen Werbemaßnahmen vertraut. Auch hier gilt, dass die Grundidee für einen Praxistest durchaus tragfähig ist, es hier aber sehr viel Spielraum für die Ausgestaltung des Diensteangebots und der Kooperation zwischen den Partnern gibt, die noch nicht ausgeschöpft sind. Zudem gab es neben den kritischen Stimmen in der lokalen Presse durchaus auch positive Resonanz aus der Fachöffentlichkeit. Die Diskussion über die zunehmende Einsamkeit älterer Menschen, über deren gesundheitliche Folgen und gesellschaftliche Kosten sowie geeigneter Maßnahmen, dieser entgegenzuwirken beginnt gerade erst. Daher ist nach meiner Überzeugung aus diesem Piloten noch kein abschließendes Urteil zulässig.