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Neue Forschungsergebnisse und Empfehlungen zur Alterslücke bei der Internetnutzung

Gerade ist mein im doppelten Sinne des Wortes letztes Buch erschienen. Aber nicht nur deswegen beginnt es mit einem Rückblick auf eine Entwicklung, bei der ich mich seit über 20 Jahren auf unterschiedliche Art und Weise engagiere. Es geht um den allgemeinen Zugang zu dem (damals) neuen Medium Internet und die sogenannte digitale Kluft bzw. in diesem speziellen Fall um die Alterslücke bei der Nutzung. 1995 habe ich aufgrund von Studien zur Internetinitiative von Bill Clinton und Al Gore in den USA mit dem Bild des Information Superhighway über informationelle Grundversorgung (Spektrum der Wissenschaft), Bibliotheken als öffentliche Zugangsorte zum Internet und über das Ziel einer Dualen Informationsordnung als politische Gestaltungsaufgabe (z.B. in Computer und Recht) geschriebem. Dies hat u.a. zur Berufung als Sachverständiger in die erste Enquetekommission des Deutschen Bundestags zum Thema Internet geführt. Damals unter dem Titel "Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft." aber mit weitgehend denselben Fragen, die heute unter dem Thema "Digitalisierung" behandelt werden.

 

Mit den Mitgliedern der Fraktionen der SPD und von Bündnis90/Die Grünen mussten wir im Abschlussbericht 1998 (pdf) in einem Minderheitsvotum eine staatliche Förderung von öffentlichen Internet-Zugangs- und Lernorten fordern. Die damalige CDU/CSU Fraktion und die von ihr berufenen Sachverständigen sahen dazu keinen Anlass und waren der Auffassung, dass man es mit dem üblichen s-förmigen Verlauf von (Medien-) Innovationen zu tun habe und "Internet für alle" nur eine Frage der Zeit sei. Als es 1998 zu einer rot-grünen Regierung kam, startete diese eine Initiative "Internet für alle", in deren Rahmen 1999 zunächst nach dem Vorbild des US-amerikanischen Digital Divide Network das Projekt Netzwerk Digitale Chancen an der Universität Bremen gefördert wurde, das 2002 zur Gründung der Stiftung Digitale Chancen führte.

 

Parallel dazu hat sich unsere Forschungsgruppe mit verschiedenen Aspekten der sogenannten Digitalen Spaltung befasst. Der erste wissenschaftliche Beitrag, zusammen mit Stefan Welling, erschien 2000 in M&K - Medien und Kommunikationswissenschaft . Ein Element war nach dem Vorbild der US-amerikanischen Telekommunikationsbehörde die Umrechnung der deutschen statistischen Zahlen zur Internetnutzung in das Format der "Digitalen Spaltung" als "Gap", das auf den Vergleich von Dynamiken abzielt. Statt relativer Zuwächse bei einer gesellschaftlichen Gruppe wird deren Nutzungsquote mit der anderer verglichen und der Abstand als Lücke gekennzeichnet. So kann man die Geschlechterlücke ermitteln, in dem man über mehrere Jahre den Anteil der Internetnutzung bei Männern und Frauen vergleicht. Die Alterslücke zwischen den 14 -17 Jährigen und den über 70 Jährigen betrug 2001 rund 60 Prozentpunkte.

 

Im Rahmen einer vor kurzem abgeschlossenen Studie der Stiftung Digitale Chancen in Kooperation mit Telefónica Deutschland habe ich in dem aktuell erschienen Buch diesen Vergleich für die Folgejahre fortgeführt und musste feststellen, dass der Abstand  gegenüber 2001 in den Jahren 2015 und 2016 sogar noch um ein bis zwei Prozentpunkte auf 61 bzw. 62 Prozentpunkte gestiegen ist. Das stellt bisherige Bemühungen zur Verringerung der Alterslücke in diesen 16 Jahren in Frage und macht mich auch persönlich nachdenklich – aber nicht ratlos. Denn in dem erwähnten Projekt "Digital mobil im Alter" wurde – basierend auf den Erkenntnissen aus dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt „Internet erfahren“ – ein Ansatz entwickelt, mit dem man die alte Idee der öffentlichen Internetzugänge über stationäre PCs in öffentlichen Einrichtungen in die Ära des mobilen Internet und der einfacher zu bedienenden Tablet PCs überführen kann: In dem Projekt der Stiftung zusammen mit Telefonica Deutschland  wurden nämlich jeweils bis zu 20 Tablet PCs über Senioreneinrichtungen an ihre Besucherinnen und Besucher ausgeliehen. Absolute Neulinge haben ebenso wie die gelegentlichen Mitbenutzerinnen des PC des Ehemanns mit Unterstützung durch ein wöchentliches Begleitangebot während der achtwöchigen Ausleihzeit unter anderem aufgrund vorinstallierter Apps für sich sinnvolle Nutzungen entdeckt.

 

In dem eingangs erwähnten zusammen mit Barbara Lippa verfassten Buch werden die Ergebnisse und Konsequenzen dieses Feldexperiments mit 300 Teilnehmenden ausführlich dargestellt und die dabei gewonnenen Erfahrungen zu politischen Forderungen verarbeitet.  Um die Alterslücke zu verringern sind danach drei Brückenpfeiler notwendig:

  1. Dem Vorurteil, dass das Internet der jeweiligen Altersgruppe nicht Nützliches zu bieten hat und man deswegen gar kein Tablet oder Smartphone brauche, kann durch die Ausleihe dieser Geräte über Senioreneinrichtungen begegnet werden.
  2. Ein Einführungs- und Begleitprogramm muss sich gezielt auf die Bedürfnisse, Problemwahrnehmungen und Lernmöglichkeiten älterer Menschen ausrichten.
  3. Da auch nach solchen Einführungen Probleme erwartet werden, die heute zum Verzicht auf die Nutzung führen, sollte als Sicherheitsleine ein flächendeckendes Angebot an Sprechstunden (persönlich oder telefonisch) geschaffen werden.

 

Der Vorstand der Stiftung Digitale Chancen hat die Forderung nach einem bundesweiten Roll-Out des in dem Projekt erprobten Leihmodells zusammengefasst und als Masterplan Digitalisierung und Demographischer Wandel an die Vorsitzenden der Fraktionen im Bundestag und die Parteivorsitzenden geschickt, die alle Digitalisierung fördern wollen und betonen, dass dabei niemand ausgeschlossen werden darf oder soll.

 

Unter Verweis auf die nicht kleiner gewordene Alterslücke wird eine Bundesinitiative mit der Förderung der Ausstattung von 30.000 Senioren-Begegnungsstätten und 3.000 Seniorenheimen mit je 10 Tablets zur Ausleihe an Bescher und bzw. Bewohner vorgeschlagen. So könnten über drei Jahre fast 400.000 ältere Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung und im Kontakt mit Vertrauenspersonen Nützliches im Internet entdecken. Inklusive eines Train-The-Trainer-Programms würden die vier Module des Masterplans über drei Jahre verteilt 50 Mio. Euro erfordern.

 

In der Presse haben wir dafür Unterstützung gefunden, wie die bundesweit ausführliche Berichterstattung in den Zeitungen der Funke-Medien-Gruppe (pdf) oder ein Artikel in der Saarbrücker Zeitung (pdf) zeigt. Gestern Abend hat es das Thema dann auch in das Regionalmagazin Buten und Binnen geschafft. Neben einem Interview zeigt eine kurze Umfrage bei älteren Menschen in der Bremer Innenstadt genau das, was unsere Befragungen ergeben haben. 

 

Nun bleibt zu hoffen, dass wir es schaffen, das Problem und die vorgeschlagenen Lösungsansätze in den demnächst anstehenden Koalitionsverhandlungen noch auf die Tagesordnung zu setzen. Denn bisher spielen die vielen Millionen älteren Nicht- und Wenig-Nutzer bei den zum Thema Digitalisierung geplanten Maßnahmen  (Breitbandausbau, Digitale Bildung) noch nicht die Rolle, die sie verdienen.



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