Glauben statt Wissen über die wirtschaftlichen Effekte der Öffnung von Verwaltungsdaten
Postfaktische Diskussion auch zu Open Data?
Die immer fortschreitenden technischen Möglichkeiten, die heute Digitalisierung genannt werden, scheinen Politiker, Wirtschaftsverbände und Nicht-Regierungsorganisationen zu berauschen. Wissenschaft, die ursprünglich einmal aufklären sollte, stimmt ein und liefert fragwürdige Behauptungen und Berechnungen oder schweigt zu offenkundigem Unsinn und kann sich anscheinend nicht zu einer kritischen Überprüfung durchringen. Doch das ist dringend notwendig, bevor noch mehr Geld in eine angeblich erfolgversprechende und Wirtschaftswachstum fördernde Bereitstellung von Daten investiert wird und Gesetze mit Verpflichtungen verabschiedet werden, bei denen Kosten und erwartbarer Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis stehen (zur Kritik der gleichzeitig damit versprochenen größeren Transparenz vgl. Breiter und Kubicek 2016). Die gemeinsame Kritik an Studien zu den behaupteten volkswirtschaftlichen und demokratiefördernden Effekten der Öffnung von Verwaltungsdaten besteht darin, dass sie als Begründung für Maximalforderungen ohne valide Kostenschätzung und Nachweis der erwarteten Ergebnisse dienen.
Das Beispiel „Open Data Gesetz“
Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat am 25. Januar 2017 den Entwurf eines Open Data Gesetzes vorgelegt und betitelt die Pressemitteilung mit „Daten als Rohstoff der Zukunft“. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass die sogenannten offenen Daten Impulse für neue Geschäftsmodelle und Innovationen bedeuten und daher immer wieder als der „Treibstoff der Zukunft“ oder als das „neue Öl“ bezeichnet werden. EU Kommissarin Neelie Kroes hatte sogar von „Goldminen“ gesprochen. Als Beleg verweist das BMI auf die Studie „Open Data – The Benefits“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, nach der der volkswirtschaftliche Effekt der wirtschaftlichen Nutzung offener Daten nach 10 Jahren auf mindestens 12,1 Milliarden Euro jährlich beziffert wird. Dieser Wert wurde nicht selbst ermittelt, sondern aus vorliegenden Schätzungen einer Reihe EU-weiter und nationaler Studien nach der Dreisatzrechnung anhand des Bruttoinlandsproduktes auf Deutschland „adaptiert“. Wenn also eine Studie für Großbritannien ein Potential von 1,2 bis 7,2 Mrd. GBP schätzt, dann macht das 0,08 bis 0,46% des Bruttoinlandprodukts (BIP) Großbritanniens aus und umgerechnet auf das größere BIP Deutschlands ein angenommenes Potenzial von 6 Mrd. GBP. So werden insgesamt ein knappes Dutzend völlig unterschiedliche Schätzungen transformiert, in die Kategorien „konservativ“, „ambitioniert“ und „optimistisch“ eingeteilt und jeweils gemittelt. Die in der Gesetzesbegründung erwähnte Schätzung von12,1 Mrd. ist die obere Grenze der konservativen Schätzung. Insgesamt reicht das Spektrum der “adaptierten Werte“ von 2,5 Mrd. bis 131,1 Mrd. Euro (S. 55 ff).
Der Digitalverband BITKOM hat schon am 19. Dezember 2016 die Pläne des BMI für ein Open Data Gesetz begrüßt, nach dem Daten der Bundesverwaltung standardmäßig offen, kostenfrei und unter freier Lizenz verfügbar gemacht werden sollen („open by default“) und behauptet in einer Pressemitteilung ohne Beleg:“ Das Innenministerium geht für die kommenden zehn Jahre von einem volkswirtschaftlichen Potential in Höhe von bis zu 130 Milliarden Euro aus.“
In ihrem gerade veröffentlichten Transparenz-Ranking zitieren die Herausgeber Mehr Demokratie e.V. und Open Knowledge Foundation dieselbe Studie der Konrad Adenauer Stiftung mit der Behauptung, offene Verwaltungsdaten könnten in Deutschland „einen volkswirtschaftlichen Mehrwert von 43,1 Milliarden Euro im Jahr erzeugen und 20.000 Arbeitsplätze schaffen“ (S. 17). Warum gerade dieser Wert aus dem breiten Spektrum von 2,5 Mrd. bis 131,1 Mrd. Euro ausgewählt wurde, wird nicht erläutert.
Eine Wertschöpfungskette zur Schätzung des “(volks-)wirtschaftliches Potenzials“
Es ist erstaunlich, dass zwar Zahlen genannt werden, aber das was sie abbilden sollen, undefiniert und damit vage und beliebig interpretierbar bleibt. Mal wird das wirtschaftliche Potenzial als volkswirtschaftlicher Nutzen oder Wohlfahrt, mal als Wertschöpfung, aber auch als Umsatz oder Steuereinnahmen konkretisiert. So prüft eine Schweizer Studie, ob sich die Kosten der Behörden für die Bereitstellung offener Daten letztlich über zusätzliche Steuereinnahmen rentieren, die aus der privatwirtschaftlichen Verwertung dieser Daten entstehen.
Um die Herleitung solcher Schätzungen transparent zu machen, habe ich in einem gerade veröffentlichten Beitrag in der Online-Zeitschrift SocietyByte des Schweizer BFH-Zentrums Digital Society versucht, eine Wertschöpfungskette zu skizzieren, die von der Bereitstellung von Daten über die Entwicklung und kommerzielle Nutzung daraus entwickelter Anwendungen über die erzielten Erlöse mit deren Versteuerung zu einem Rückfluss führen kann.
Die heroischen Annahmen der Ökonomen
Nach einer detaillierten Kritik verschiedener Studien in einem zweiten Teil verweise ich im dritten Teil auf fundamentale Irrtümer in den meisten dieser Schätzungen, die ihre praktische Bedeutung erheblich schmälern
- Der Inhalt spielt keine Rolle – Daten sind homogene Güter.
- Die Kosten spielen keine Rolle – Die Grenzkosten sind gleich Null.
- Die Wertschöpfung kommt den Bereitstellern zugute.
Aus Platzgründen möchte ich diese Kritikpunkte hier nicht erläutern, sondern Sie einladen, das in dem Beitrag nachzulesen. Stattdessen noch ein paar Sätze zu den praktischen Schlussfolgerungen.
Open by demand als Alternative
Der Entwurf für das Open Data Gesetz des Bundes geht vom Prinzip „Open by default“ aus. Grundsätzlich sollen alle Daten, die nicht unter konkrete Beschränkungen fallen, als offene bereitgestellt werden. Zwar schreibt das Gesetz keine entsprechende Verpflichtung vor, beinhaltet also keine Muss-, sondern eine Soll-Bestimmung, wie das BremIFG von 2011 bis 2015. Auf die für Gesetzesbegründungen übliche Frage nach Alternativen, antwortet die Bundesregierung schlicht „Keine“.
Das ist nicht zutreffend. Die Alternative heißt “open by default“ und wurde 2015 bei der Novellierung des BremIFG gesetzlich verankert. Da die Kosten für eine dynamische Bereitstellung offener Daten erheblich sind und es keine verlässlichen Erwartungen gibt, dass sie jemals gedeckt werden können, erscheint es wirtschaftlich nicht vertretbar, diesen Aufwand für die permanente Bereitstellung von Daten zu treiben, die möglicherweise nie jemand nachfragt. Ein Haushaltnotlageland wie Bremen kann sich das auf jeden Fall nicht leisten. Daher sieht das novellierte BremIFG zwar eine Muss-Verpflichtung für die Veröffentlichung von Dokumenten vor. Rohdaten werden hingegen nur auf Antrag bereitgestellt. Damit sind relativ geringe Kosten verbunden. Erst wenn bestimmte Daten häufiger angefordert werden, kommt eine dauerhafte Schnittstelle in Betracht, die deutlich teurer ist.
Der Entwurf für das Open Date Gesetz des Bundes geht nicht nur diesen marktwirtschaftlichen und bedarfsgerechten Weg nicht, sondern verbaut ihn. Gleich zu Beginn heißt es in § 12a, Absatz 1, Satz 2: „Ein Anspruch auf die Bereitstellung dieser Daten wird hierdurch nicht begründet“. Das sollte aber so sein und zur Begründung braucht man keine fragwürdigen Potenzialschätzungen, sondern nur den politischen Willen, zu einer nachfragegerechten Gestaltung.