Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland geht bekanntermaßen relativ langsam vonstatten. In seinem diesjährigen Jahresbericht fasst der Normenkontrollrat die Situation dahingehend zusammen, dass die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland viel zu langsam vorankäme und abgeschlagen hinter den meisten europäischen Staaten liege. Der Kontrollrat weist auch noch einmal darauf hin, dass das maßgebliche Onlinezugangsgesetz seine Umsetzungsziele weit verfehlt habe, und dass auch dem Nachfolgegesetz inklusive seiner Finanzierung die Schlagkraft fehle, die für eine spürbare Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung nötig wäre. Vor diesem Hintergrund kommt das Gremium zu dem ernüchternden Schluss, dass es an Vision, an Ambition und dem politischen Willen fehle, in großen Schritten und mit weniger Rücksicht auf föderale und ressortegoistische Befindlichkeiten voranzugehen (S. 4)
Gleichwohl gab die Mehrheit von fast 2.500 in der Zeit von Anfang November 2020 bis Ende April 2021 im Rahmen des Projektes Qualifica Digitalis online befragte Mitarbeitenden unterschiedlicher Verwaltungsdomänen an, in über 80 Prozent ihrer Arbeitszeit Informationstechnologien zu nutzen. Die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung ist insofern „im vollen Gange“, gleichwohl ganz unterschiedlich weit fortgeschritten. Dieser Wandel gelingt aber auch nur dann, wenn die Verwaltungsmitarbeitenden über entsprechende berufliche Handlungskompetenzen und Qualifikationen verfügen. Gute Qualifizierung für die Arbeit in der digitalisierten Verwaltung kann außerdem den Umgang mit den für die digitalisierte Welt möglichen Verunsicherungen der Beschäftigten gegenüber den grundlegenden Veränderungen der Arbeit wesentlich erleichtern. Hier spielen Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit, veränderte Belastungen am Arbeitsplatz und Statussicherung eine ebenso große Rolle wie die Frage nach zu-künftigen Anforderungen und Kompetenzerwartungen. Es geht dabei nicht nur um den Einsatz von und den Umgang mit neuen Technologien sowie die Fertigkeit, einzelne IT-Anwendungen kompetent nutzen zu können. Stattdessen ist eine „digitale Handlungskompetenz“ erforderlich, die als Querschnittskompetenz von grundlegenden IT- und Medienkompetenzen über berufsspezifische digitale Verwaltungs-Kompetenzen bis hin zu neuen bzw. veränderten personalen und sozialen Kompetenzen reicht.
Das Projekt Qualifica Digitalis
Vor diesem Hintergrund hatte der IT-Planungsrat das Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsprojekt „Qualifica Digitalis – Projekt für die Qualifizierung des digitalisierten öffentlichen Sektors“ unter der Federführung des Senators für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen eingesetzt. Ziel des Projektes war es, auf der Basis einer wissenschaftlich fundierten Analyse auf Grundlage qualitativer und quantitativer wissenschaftlicher Methoden zu Veränderungen von Kompetenzanforderungen und Qualifikationsentwicklungen im öffentlichen Sektor Handlungsempfehlungen für Qualifizierungsstrategien für die Ausgestaltung der beruflichen Bildung und der Personalentwicklung entlang der Anforderungen der digitalen Transformation zu erarbeiten. Durchgeführt haben wir das Projekt zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme (FOKUS) und dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV).
Nunmehr sind nach längerer Verzögerung endlich die Ergebnisse des Projektes publiziert worden und können auf der Projektseite heruntergeladen werden. Wir haben dabei zum einen vor allem die Online-Befragung von Mitarbeitenden der Steuerverwaltung, der Bildungsverwaltung sowie der bürgernahen Dienste verantwortet, deren Ergebnisse in Band 2 enthalten sind. Darüber hinaus haben wir uns intensiv mit der Frage nach den Anforderungen an die Berufsausbildung in der öffentlichen Verwaltung im Zuge der digitalen Transformation befasst. Unsere Ergebnisse können in Band 5 nachgelesen werden. Dazu werde ich in Kürze einen weiteren Blogbeitrag erstellen. In diesem Beitrag stelle ich kurz ein paar zentrale Ergebnisse aus Band 2 vor.
Die Steuerverwaltung als „Digitalisierungs-Rolemodel“
Die Steuerverwaltung sticht aus unserem Bericht nicht nur deshalb hervor, weil wir dort in der von Anfang November 2020 bis Ende April 2021 durchgeführten Befragung mit 867 ausgefüllten Fragenbögen der höchste Rücklauf erzielt werden konnte. Im Vergleich zu vielen anderen Domänen der öffentlichen Verwaltung ist die Steuerverwaltung im Kontext der Digitalisierung bereits sehr weit fortgeschritten und verfügt damit u.a. über Erfahrungen, die auch für andere Domänen interessant sind. So entschied z. B. die Finanzministerkonferenz bereits 2004 eine einheitliche Software für alle Bundesländer zu entwickeln. Am KONSENS-Verbund (Koordinierte neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung) beteiligten sich schließlich alle Bundesländer und der Bund. Ziel des Verbundes ist es u. a. die Betrugsbekämpfung durch automatisierte Datenverarbeitung und (Weiter-)Entwicklung entsprechender Werkzeuge wirksam zu unterstützen.
KI at Work – das Risikomanagementsystem
Eine der interessantesten Anwendungen in der Steuerverwaltung bzw. den Finanzämtern ist das so genannte Risikomanagementsystem (RMS) mit dessen Hilfe vorgelegte Steuererklärungen dahingehend untersucht werden, ob aufgrund falscher Angaben das Risiko eines Steuerausfalls droht. Die RMS-Software analysiert die Daten der Steuererklärung mit Hilfe geeigneter Algorithmen und steuert anhand vorgegebener Parameter Steuererklärungen aus, die einer Überprüfung durch einen Mitarbeitenden bedürfen. Gleichzeitig werden immer mehr risikolose Steuererklärungen durch das RMS vollständig bearbeitet und es verschickt auch gleich die entsprechenden Mitteilungen. 2020 wurden in einem von uns näher betrachteten Finanzamt bereits rund 14 Prozent der Einkommenssteuererklärungen vollständig automatisiert bearbeitet. Das RMS kann insgesamt rund 1.000 Hinweise generieren. Rund 90 Prozent der Hinweise entfallen aber auf eine Auswahl von ca. 100 Hinweisen, die den größten Teil der Arbeit mit dem RMS ausmachen. Mindestens diesen Kanon von Hinweisen sollten alle Mitarbeitenden sicher bearbeiten können. Im Gegensatz dazu war es vor Einführung des RMS wohl möglich, dass Mitarbeitende Veranlagungstatbestände, die sie weniger gut beherrschten, nicht geprüft haben. Nunmehr treten solche Kompetenzdefizite viel schneller hervor und die Arbeit wird insgesamt anspruchsvoller. Gleichwohl gaben in unserer Befragung rund zwei Drittel der Befragten an, dass sie die Arbeit mit dem RMS als hilfreich empfänden. Gleichwohl waren über 50 Prozent der Befragten der Meinung, dass das RMS die Einflussmöglichkeiten auf ihre Arbeit verringere. Das betrifft vor allem den Aspekt der Gesamtfallbetrachtung, der auch für andere Domänen relevant ist und – wenn er weiter fortschreitet – einen Paradigmenwechsel für die Fallbearbeitung in der öffentlichen Verwaltung markiert.
Veränderte Anforderungen – neue Kompetenzen
Solche und andere Wandlungsprozesse illustrieren die hohe Veränderungsdynamik in der Steuerverwaltung, die durch den Antworten der Befragten unterstrichen werden. So bejahten z.B. über die Hälfte der Befragten aus der Finanzverwaltung, dass es mindestens eher zuträfe, dass sich die Verwaltungsdienstleistungen und arbeitsinhalte in den letzten 3 Jahren sehr verändert hätten. Für die Arbeitsmethoden und -weisen tritt das noch deutlicher hervor (75,1%: trifft mind. eher zu). In korrespondierender Weise hat in den letzten 3 Jahren auch die Anforderung, neue Dinge zu lernen zugenommen (82,5% trifft mind. eher zu). Gleichwohl schätzen über zwei Drittel der Befragten ihre Kompetenzen im Umgang mit der für ihre Arbeit erforderlichen Hard- und Software als mindestens gut ein. Erworben werden diese Kompetenzen überwiegend während der Arbeit. Insofern überrascht es auch nicht, dass die Befragten überwiegend unzufrieden sind mit den ihnen angebotenen Weiterbildungsmöglichkeiten. An dieser Stelle besteht deutlicher Handlungsbedarf.
Perspektiven
Auch in den anderen beiden untersuchten Domänen fiel die Beurteilung der Weiterbildungsangebote schlecht aus, sodass der domänenübergreifende Wunsch nach Zeiten für Selbstlernprozesse während der Arbeit eine naheliegende Lösung sein könnte. Das macht nicht nur vor dem Hintergrund des Ergebnisses, das die Beschäftigten in allen drei Domänen einen Anstieg der Anforderungen an ihre Arbeit wahrnehmen. Trotzdem sehen rund drei Viertel der Befragten mehr Chancen als Risiken durch die Digitalisierung für die öffentliche Verwaltung. Daran ändert auch nichts, dass rund zwei Drittel der Befragten im Zuge der Digitalisierung einen weiteren Anstieg ihrer beruflichen Anforderungen erwarten. Da aber alle Befragten ihre im Kontext der digitalen Transformation als wichtig erachteten Kompetenzen überwiegend als gut einschätzen, scheinen sie sich für die erwarteten Herausforderungen als gut gewappnet zu sehen.