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Zentrale Ergebnisse aus Bachelorarbeit zur "Prozessmodellierung in der öffentlichen Verwaltung"

Auf welche Herausforderungen treffen Prozessmodellierer*innen und -verantwortliche in der öffentlichen Verwaltung bei der Erhebung und Modellierung von Prozessen? Dieser Frage bin ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit nachgegangen und habe dazu fünf leitfadengestützte Interviews sowohl mit leitenden als auch mit ausführenden Mitarbeiter*innen der Freien Hansestadt Bremen (FHB) geführt.

Thema / Hintergrund
Seit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsdienstleistungen (Onlinezugangsgesetz - OZG) 2017 sind deutsche Behörden dabei, digitale Zugänge zu den von ihnen angebotenen Dienstleistungen zu schaffen. Im Zusammenspiel mit §9 des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government-Gesetz - EGovG), in dem es heißt, dass „Verwaltungsabläufe (…) vor Einführung von informationstechnischen Systemen unter Nutzung gängiger Methoden zu dokumentieren, analysieren und optimieren“ sind, bedeutet dies, dass alle im Zuge des OZG geschaffenen digitalen Zugänge prozessual zu beschreiben sind

Doch auf welche Herausforderungen treffen Prozessmodellierer*innen und -verantwortliche in der öffentlichen Verwaltung bei der Erhebung und Modellierung von Prozessen? Dieser Frage bin ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit nachgegangen und habe dazu fünf leitfadengestützte Interviews sowohl mit leitenden als auch mit ausführenden Mitarbeiter*innen der Freien Hansestadt Bremen (FHB) geführt.

 

Zentrale Ergebnisse
Die Gespräche mit den Expert*innen haben ergeben, dass sich bei der Modellierung von Prozessen Herausforderungen in vier Bereichen erkennen lassen:

  • Praktische Herausforderungen
  • Strategische Herausforderungen
  • Wirtschaftliche Herausforderungen
  • Strukturelle Herausforderungen

 

Die praktischen Herausforderungen umfassen Herausforderungen, die bei der Erhebung von Prozessen, sprich den Befragungen der Prozessausführenden und der Erstellung von Prozessmodellen auftreten. Während der Erhebung sei es schwierig, von den ausführenden Mitarbeitenden, alle für die Modellierung wichtigen Informationen über einen Prozess, wie Arbeitsschritte, auszufüllende Formulare oder eingesetzte Softwaresysteme zu erfahren. Als Grund hierfür wurde angeführt, dass sich Mitarbeitende oft nicht bewusst sind, dass ihre Arbeitstätigkeiten Prozesse in einem großen Ganzen darstellen und nur eingeschränkt in der Lage sind, ihre Arbeit als einen Prozess darzustellen. Es obliegt daher oft den Prozessmodellierer*innen, bei den Beschäftigten ein Bewusstsein für Prozesse und Grundlagen prozessualen Denkens zu schaffen, was die Erhebung verlangsamt. Bei der Gestaltung der Prozessmodelle lägen die Herausforderungen vor allem darin, die Prozesse verständlich, sowie inhaltlich und formell korrekt abzubilden. Dies sei in fehlender Übung der Prozessmodellierer*innen im Modellieren von Prozessen begründet, da für diese Tätigkeiten nur selten eine eigene Stelle geschaffen wird. Das Modellieren von Prozessen ist meist eine Nebenaufgabe, die zusätzlich zum normalen Tagesgeschäft ausgeführt wird. Dies ist ebenfalls Bestandteil der strategischen und wirtschaftlichen Herausforderungen.

Die strategischen Herausforderungen fassen die Herausforderungen zusammen, die bei Entscheidungen auf der strategischen, also planerischen Ebene bei der Implementierung und Durchführung von Prozessmodellierung auftreten. Dies betrifft unter anderem die Festlegung von formellen Vorgaben, damit Prozessmodelle zweckdienlich und zielgerichtet eingesetzt werden können. Nicht alle Führungskräfte auf der strategischen und planerischen Ebene besitzen ein Bewusstsein dafür, welche Vorteile Prozessmanagement durch die Steuerung und Optimierung von Prozessen bietet. Auf Grund dessen wird die Implementierung von Prozessmanagement und die Durchführung von Prozessmodellierung nicht priorisiert. Dementsprechend fehlen formelle Vorgaben, welche Prozesse, wie, für wen, zu welchem Zweck erhoben und optimiert werden sollen. Diese Vorgaben sind für eine sinnvolle und zweckmäßige Prozessmodellierung jedoch zwingend notwendig und bedingen unmittelbar praktische Anforderungen bei der Erstellung von Prozessmodellen.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen fassen die Herausforderungen zusammen, die bei der Beschaffung von Ressourcen für die Implementierung und Durchführung von Prozessmodellierung auftreten. Maßgeblich betrifft dies die Schaffung von freien Kapazitäten auf Seiten des Personals. Durch die fehlende Priorisierung von Prozessmanagement auf der strategischen Ebene, ist die Bereitstellung von Ressourcen für Prozessmodellierungen ebenfalls eine Herausforderung. Zur Durchführung von Prozessmodellierungen bedarf es ausgebildetem, ungebundenem Personal und einer technischen Ausstattung, die einen festen Posten in den Haushaltsplänen der Verwaltungen darstellen.

Die strukturellen Herausforderungen fassen die Herausforderungen zusammen, die aufgrund der Organisationsstruktur bei der Implementierung und Durchführung von Prozessmodellierung auftreten. Dies betrifft größtenteils die für eine Prozesserhebung notwendige Zusammenarbeit mehrerer Personen über Hierarchieebenen hinweg. Für die Erstellung von Prozessmodellen ist es nötig, dass Prozessmodellierer*innen mit allen Personen, die an der Erbringung einer Dienstleistung in der öffentlichen Verwaltung beteiligt sind, zusammenarbeiten. Es zeigt sich allerdings, dass der interorganisatorische Charakter von Prozessmanagement und Prozessmodellierungen mit dem jetzigen Aufbau der Verwaltung schwer vereinbar ist und so die Etablierung von Querschnittsprozessen, aber auch die Verortung der Stellen von Prozessmodellierer*innen verkompliziert wird.

 

Schlussfolgerungen
Insgesamt lässt sich aus den Interviews entnehmen, dass in der öffentlichen Verwaltung ein Bewusstsein für Prozesse und Prozessmanagement fehlt. Daraus resultiert, dass die Thematiken keine Priorität bei strategischen Entscheidungen besitzen, obwohl diese vom OZG gefordert wird. In der hierarchischen Organisationsform der öffentlichen Verwaltung ist es allerdings zwingend notwendig, dass Entscheidungen auf der strategischen Ebene getroffen werden, um interorganisatorische Praktiken wie Prozessmanagement überhaupt einführen zu können. Denn auch für die Durchführung braucht es zentrale und einheitliche Vorgaben bezüglich der zu verwendenden Modellierungssprache und Modellierungssoftware. Ohne die Festlegung dieser Punkte ist es Prozessmodellierer*innen nur schwer möglich Prozessmodelle zu erstellen, da diese Vorgaben unmittelbaren Einfluss auf die Ausführung der praktischen Tätigkeiten der Prozessaufnahmen und Modellerstellung haben.

All diese Punkte zeigen, dass Prozessmanagement als Querschnittsthema für alle Mitarbeitenden in der öffentlichen Verwaltung inklusive den Entscheidungsträger*innen in den höchsten Gremien verständlich kommuniziert werden muss. Es bedarf einer Förderung des Bewusstseins für Prozesse und Prozessmanagement und der Bekanntmachung der Vorteile einer prozessorientierten Organisationsform durch Multiplikator*innen, die das Thema durch alle Hierarchieebenen hinweg und die Entwicklung von zentralen Vorgaben vorantreiben. Dies würde vermutlich zu einer Priorisierung dieser Thematiken bei strategischen Entscheidungen führen und dadurch den Weg zur Bewältigung der wirtschaftlichen und strukturellen Herausforderungen ebnen.



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