In der letzten Woche wurde aktuelle PISA-Studie veröffentlicht. Das Ergebnis ist bekannt und stellt dem schulischen Bildungssystem ein extrem schlechtes Zeugnis aus. Die 15-Jährigen in Deutschland fallen bei PISA 2022 demnach in allen Kompetenzbereichen auf die niedrigsten Werte ab, die hierzulande im Rahmen von PISA je gemessen wurden. Im selben Jahr haben wir die Erhebungen im Rahmen unserer Untersuchung zur Berufsausbildung in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel der Verwaltungsfachangestellten (VFA) sowie dem Vorbereitungsdienst der Finanzwirt:innen durchgeführt. In allen der dazu durchgeführten sechs Workshops wurde von der Mehrzahl der Teilnehmenden moniert, dass ein nicht unerheblicher Teil der Auszubildenden Defizite beim sinnentnehmenden Lesen, dem schriftlichen Ausdrucksvermögen sowie im mathematischen Bereich bis hin zur sicheren Beherrschung der Grundrechenarten aufweist. Auch um die Handhabung digitaler Medien ist es demnach nicht viel besser bestellt. Den Teilnehmenden unserer Workshops zufolge scheint sich das Medienhandeln der Jugendlichen häufig auf wenige Praktiken und hier vor allem auf die Nutzung des Smartphones zu verengen. Dementsprechend mangele es vielen Auszubildenden an grundlegenden, für die Ausübung der untersuchten Berufe erforderlichen Kenntnisse im Umgang mit Standardanwendungen wie z.B. Office-Programmen. Durchgeführt haben wir diese Untersuchungen im Rahmen des Projektes Qualifica Digitalis.
Das Projekt Qualifica Digitalis
Ziel des vom IT-Planungsrats beauftragten Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsprojekts war es, auf der Grundlage der Untersuchung der Veränderungen von Kompetenzanforderungen und Qualifikationsentwicklungen im öffentlichen Sektor Handlungsempfehlungen für Qualifizierungsstrategien für die Ausgestaltung der beruflichen Bildung und der Personalentwicklung entlang der Anforderungen der digitalen Transformation zu erarbeiten. Für weitere Details zum Projekt siehe meine vorherigen Blogbeitrag dazu. In diesem Beitrag gebe ich einen kurzen Überblick zu wichtigen Ergebnissen unserer Untersuchung. Die Details können im Band 5 der Publikationen zum Projekt nachgelesen werden.
Zur Auswahl der beiden Berufe
Die VFAs gehören zu den größten Beschäftigtengruppen innerhalb der öffentlichen Verwaltung. Sie sind sowohl in der Kommunal-, als auch in der Landes- und Bundesverwaltung tätig und gelten als Generalisten, d.h. eine Spezialisierung erfolgt während der Ausbildung zwar entlang der drei Ebenen. Dort können die ausgebildeten VFA aber prinzipiell in allen Verwaltungsbereichen eingesetzt werden. Neben den verschiedenen Behörden findet die Ausbildung auch in der Berufsschule sowie in den Verwaltungsschulen bzw. Studienseminaren statt. Finanzwirte sind ebenfalls Generalist:innen und arbeiten nach Abschluss des Vorbereitungsdienstes vor allem in den verschiedenen Veranlagungsbereichen der Finanzämter. Die Betrachtung des Vorbereitungsdienstes bot sich u.a. an, da die Steuerverwaltung im Vergleich zu den meisten anderen Verwaltungsbereichen sehr weit fortgeschritten ist im Bereich der Digitalisierung.
Reformbedarf in der Ausbildung
2220 befanden sich rund 20.000 VFA in Ausbildung. Übergeordnetes Ziel der Berufsausbildung ist der Erwerb der beruflichen Handlungsfähigkeit durch die Auszubildenden. Das sind die beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit benötigt werden. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung ist zu fragen, ob die Ausbildung den mit diesem Wandel einhergehenden veränderten Anforderungen an den Beruf noch gerecht wird und welche Anpassungen es ggf. braucht.
Ist eine Berufsausbildung nicht mehr zeitgemäß, der Beruf aber noch relevant, erfolgt eine so genannte Neuordnung, d.h. die Ordnungsmittel (für die VFA der Ausbildungsrahmenplan für die Ausbildung in den Ausbildungsstätten und der Rahmenlehrplan als Grundlage für den Berufsschulunterricht) als strukturelle und inhaltliche Grundlage der Ausbildung werden grundlegend überarbeitet. Für den Vorbereitungsdienst der Finanzwirt:innen ist dies bereits erfolgt. Die Steuerbeamtenausbildungs- und Prüfungsordnung wurde grundlegend überarbeitet und die neue Verordnung in Kraft gesetzt. Nunmehr ist z.B. der Einsatz digitaler Medien bei der Durchführung und der Organisation der Ausbildung möglich. Das schließt das Schreiben von Klausuren und die Durchführung von Prüfungen mit ein. Bei der Aktualisierung wurde großen Wert daraufgelegt, die Rechtsvorgaben möglichst zukunftsoffen zu gestalten, um die technischen Entwicklungen insbesondere in den Landesfinanzschulen nicht einzuschränken.
Die Ordnungsmittel für die Ausbildung der VFA stammen von 1999. Generell sind diese bewusst technikoffen und funktionsorientiert formuliert, um zukünftige Entwicklungen integrieren zu können. Den tiefgreifenden Veränderungen im Zuge der digitalen Transformation werden sie jedoch nicht mehr ausreichend gerecht. Der kontinuierlich zunehmende Einsatz digitaler Fachverfahren und hier insbesondere die verstärkte Integration von Anwendungen aus dem Bereich des maschinellen Lernens verändern die (Zusammen-)Arbeit mit solchen Systemen grundlegend, die so in den Ordnungsmitteln nicht mehr abgebildet wird. Die Zusammenarbeit mit Chatbots, die auch in der öffentlichen Verwaltung immer häufiger zum Einsatz kommen, zeigt in die gleiche Richtung. Es kommt vermehrt zu unerwarteten Arbeitssituationen, deren Bewältigung insbesondere ein erhöhter Ambiguitätstoleranz bedarf, die insbesondere erweiterte soziale Kompetenzen erfordert.
Eine Neuordnung hätte zudem auch den Vorteil, dass dann die 2021 überarbeiteten Standardberufsbildpositionen für die VFA-Ausbildung gelten würden. Diese Positionen enthalten unabhängig von den berufsspezifischen Anforderungen im Rahmen der Ausbildung zu adressierenden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten als unverzichtbares Fundament kompetenten Handelns. Neu hinzugekommen ist 2021 die Berufsbildposition „Digitale Arbeitswelt“, die entsprechende Kompetenzen adressiert. Auch die im Rahmen von Qualifica Digitalis identifizierten Kompetenzen für eine digitale Arbeitswelt finden sich dort größtenteils wieder. Für die der VFA-Ausbildung zugrundeliegenden Ordnungsmittel gilt das nicht.
Die Corona-Pandemie als ‚Game-Changer‘
Natürlich ist die Neuordnung der Ordnungsmittel nur ein Baustein bei der Anpassung der beiden Berufe an die Anforderungen der digitalen Transformation. An zentraler Stelle stehen z.B. die eingesetzten Lern- und Lehrmethoden inklusive passender digitaler Werkzeuge und Infrastrukturen für die Kompetenzförderung. Ein ‚Game-Changer‘ war in diesem Kontext die Corona Pandemie. Davor war die Ausbildung an allen Lernorten in erster Linie eine Präsenzveranstaltung, häufig wohl eher auch in Verbindung mit im besten Sinne als klassisch zu bezeichnenden Lern- und Lehrmethoden, wie z.B. der Frontalunterricht. Der Beginn der Pandemie mit den daraus folgenden Kontaktbeschränkungen zwang die Lernorte, möglichst schnell Wege zu finden, um den Lern- und Lehrbetrieb irgendwie aufrechtzuerhalten. Dass dabei überwiegend an den etablierten Formen der Kompetenzförderung festgehalten wurde, ist naheliegend. Viele digitale Werkzeuge wurden dabei aber erstmals überhaupt im Rahmen der Ausbildung eingesetzt und eignen sich prinzipiell auch für die Initiierung deutlich lerner:innen-zentrierterer Formen des Unterrichts.
Die Pandemie hat i.d.S. zumindest neue ‚Möglichkeitsräume‘ für die Ausbildung eröffnet. Inwieweit es gelingt, diese weiterzuentwickeln und zu verstetigen, bleibt abzuwarten. Eine Neuordnung könnte auch an dieser Stelle helfen, wenn sie z.B. Kompetenzen adressieren würde, die nötig sind, um auf der Grundlage arbeitslebensbegleitenden Lernen kontinuierlich neue Kompetenzen und Fertigkeiten zu erwerben, um beruflich handlungsfähig zu bleiben. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Ausbildenden, die sich entsprechende Lehrmethoden aneignen und in den eigenen Handlungskanon übernehmen müssen. Aus der Schule wissen wir, dass dieser Prozess eine der größten Herausforderungen im Zuge der nachhaltigen Verbesserung des Bildungssystems ist. Für die Berufsausbildung kommt erschwerend hinzu, dass ein großer Teil des dortigen Lehrpersonals nebenberuflich tätig ist, was die Qualifizierung sowie die Fort- und Weiterbildung deutlich erschwert.
Keine Veränderung der Ausbildung ohne Anpassung der Prüfungen
Lapidar heißt es oft, dass nur das unterrichtet wird, was am Ende auch geprüft wird. Das gilt auch für die Ausbildung und die jeweiligen Inhalte. Auch an dieser Stelle gab es im Zuge unserer Erhebungen viel Kritik daran, dass die aktuellen Prüfungsordnungen die berufliche Realität nicht mehr ausreichend abbilden. Zwar wird bis auf weiteres die Anwendung der für die Ausübung des jeweiligen Berufs erforderlichen Rechtskenntnisse im Mittelpunkt der Prüfungen stehen. Technisch-organisatorische Aspekte gewinnen jedoch zunehmend an Bedeutung. Man denke nur an die Nutzung von Hilfsmitteln wie digitale Gesetzestexte, die immer mehr Verbreitung finden. Oder die kompetente Nutzung digitaler Fachverfahren, die in der Prüfung herstellerunabhängig adressiert werden müsste, eine Herausforderung, auf die es bislang keine gute Antwort gibt.
Lernförderliche IT-Infrastrukturen
Im Zuge einer entsprechenden Veränderung wären die Prüfungen aufs engste mit dem Betrieb und der Weiterentwicklung einer lernförderlichen IT-Infrastruktur verbunden. Diese muss mindestens alltagstauglich, barrierefrei, sicher (i.S. der Informationssicherheit), datenschutzkonform, interoperabel, erweiterbar und veränderbar sein. Das gilt natürlich auch für alle anderen Komponenten einer lernförderlichen Infrastruktur. Dazu kommt dann u.a. die Frage nach der Ausstattung der Auszubildenden (und deren Ausbildenden) mit mobilen Endgeräten. Wie das gehen kann, illustriert das Beispiel einer Landesfinanzschule in unserem Bericht.
Was generell getan werden sollte, um die Ausbildung in der öffentlichen Verwaltung an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen, haben wir abschließend in mehrere Handlungsempfehlungen zusammengefasst. Diese werde ich in Bälde in einem abschließendem dritten Beitrag vorstellen.