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Der Legitimationsbruch bei der Bürgerbeteiligung bei Großprojekten

Auf der Veranstaltung des VDI am 2, März in Bremen mit dem Titel "Können wir noch Großprojekte?" wurde die Richtlinie VDI 7000 "Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Industrie- und Infrastrukturprojekten" zur Diskussion gestellt. Eine zentrale Botschaft, die uneingeschränkt unterstützt wurde, lautet: "Je früher, desto besser". Ich habe in einem ersten Kommentar schon auf den Unterschied zwischen Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsbeteiligung hingewiesen. Hier ist dieser besonders relevant, weil der Slogan bei Bürgerbeteiligung im Gegensatz zur Öffentlichkeitsbeteiligung nur bedingt zutrifft.

 

Zunächst aber soll geklärt werden, was ein Großprojekt auszeichnet. Das Kriterium sollte nicht das Investitionsvolumen sein, sondern die Komplexität der Genehmigungsverfahren. Es gibt Industrie- und Infrastrukturprojekte, bei denen die Genehmigung in einem Verfahren durch eine Instanz erfolgt. Dies gilt für drei der vier vorgestellten Bremer Projekte. Das vierte Projekte, der Bauabschnitt der A 281, war etwas komplexer, weil die Entscheidung nicht alleine durch das Land getroffen werden konnte, sondern mit dem Bund abgestimmt werden musste, der den größten Teil der Baukosten finanziert. Noch komplexer sind die Fernstrassen- und Stromnetzausbauprojekte, wenn man sie von Anfang an betrachtet. Dann bestehen sie nämlich aus mehreren aufeinander folgenden Genehmigungsverfahren mit mehreren  Instanzen. Insgesamt kann man so gesehen vier Komplexitätsstufen unterscheiden:

 

 Eine GenehmigungsinstanzMehrere Genehmigungsinstanzen
Einstufiges Genehmigungsverfahren

Komplexitätsstufe 1: z.B. Hulsberg Viertel, IKEA-Standort und Offshore Terminal Bremerhaven

Komplexitätsstufe 2: z.B. Bauabschnitt A 281

Mehrstufiges GenehmigungsverfahrenKomplexitätsstufe 3Komplexitätsstufe 4: Bundesautobahn und Stromnetzausbau

 

 

 

Was die größere Komplexität für den Erfolg von Beteiligung im Sinne der Ziele der VDI 7000 bedeutet, kann man gut an dem von mir evaluierten Bürgerdialog zur A 33 Nord sehen. Dort ging es um ein neun Kilometer langes Stück Autobahn, das eine Lücke bei der Verbindung der aus Süden kommenden A 33 mit der A 1 schließen soll. (Mehr zum Projekt: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/beteiligung-bei-infrastrukturprojekten/projektthemen/buergerdialog-a33-nord/).

 

Bereits 2007 hatte das Raumordnungsverfahren begonnen, in dem mehrere Trassenverläufe identifiziert wurden. 2009 erfolgte die landesplanerische Feststellung einer Vorzugsvariante, die dem Bund als Finanzier des Baus vorgelegt werden musste. Dieser reagierte erst 2013 mit der verbindlichen Linienbestimmung der Vorzugsvariante zusammen mit einigen Naturschutzauflagen. Kurz zuvor hatte der von der Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Straßenbauverwaltung und dem zuständigen Wirtschaftsministerium für einen Zeitraum von zwei Jahren vereinbarte Bürgerdialog in Form eines Forums mit einer Reihe von öffentlichen Stellen und Bürgerinitiativen für und gegen den Lückenschluss begonnen.

 

In dem Dialogforum wurde schon in der ersten Sitzung das Dilemma deutlich, dass die Straßenbauverwaltung nur die Ausgestaltung der vorgegebene Linienbestimmung planen durfte, während die Bürgerinitiativen gegen diese Trasse die vergleichende Planung einer Alternative in Form des sechsspurigen Ausbaus der A 30 forderten oder den Bedarf generell in Frage stellten. Dieser Konflikt war nicht aufzulösen und obwohl ein Auftrag für ein Verkehrsgutachten auch auf die Untersuchung der Alternative ausgedehnt wurde, verließen die meisten Bürgerinitiativen das Dialogforum nach drei Sitzungen (ausführlicher dazu der Evaluationsbericht).

 

Das so genannte Beteiligungsparadox beschreibt das Phänomen, dass die Beteiligungsbereitschaft in den frühen Planungsphasen gering ist,  in denen noch große Gestaltungsspielräume bestehen, während das Engagement erst steigt, wenn bildlich gesprochen die Bagger kommen, aber dann rechtlich kaum noch etwa geändert werden kann. Im einstufigen Verfahren kann man dem durch intensive Öffentlichkeitsarbeit ein Stück weit begegnen. Darauf geht die VDI 7000 näher ein (S.92). Aber in den mehrstufigen Verfahren ist dieses Dilemma in der Regel nicht auflösbar, weil es aus der Logik einer effizienten Planung resultiert. Aus gutem Grund wird gerade bei Infrastrukturprojekten der Planungsgegenstand von Stufe zu Stufe schrittweise eingegrenzt und aufgrund zunehmend intensiverer Untersuchungen konkretisiert. Es gibt keine vernünftige Alternative dazu, zunächst einen Bedarf zu ermitteln, dann mehre Handlungsalternativen zu identifizieren, eine erste Auswahl aufgrund eines noch groben Vergleichs zu treffen und erst dann nur für einige wenige Alternativen eine detaillierte Untersuchung aller relevanten Aspekte vorzunehmen. Im Falle der A 33 Nord hat alleine die Naturschutzuntersuchung für die in der Linienbestimmung festgelegte Trasse zwei Jahre gedauert. Das kann man nicht für vier oder fünf Varianten mit der Gründlichkeit tun, die am Ende für die genaue Festlegung von Überquerungen und Unterführungen als Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz erforderlich ist.

 

TÖBs verstehen und akzeptieren das im Prinzip, Bürgerinnen und Bürger in der Regel nicht. An der Bedarfsermittlung will sich kaum ein Bürger oder eine Bürgerin beteiligen, und auch bei der Suche nach möglichen Trassen ist das individuelle Interesse zumeist gering. Betroffenheit, die Hauptmotivation für Beteiligung, entsteht zumeist erst in den späteren Phasen. Und dann entsteht das erwähnte Dilemma, das man verallgemeinernd als Legitimationsbruch bezeichnen kann: Die Behörden sind bei der Detailplanung für das Planfeststellungsverfahren zwingend an de Entscheidungen der vorangegangenen Genehmigung gebunden. Die zum Dialog eingeladenen Bürgerinitiativen und zu Veranstaltungen kommende Bürgerinnen und Bürger fühlen sich daran jedoch überhaupt nicht gebunden. Die von Luhmann als wichtiges Mittel zur Lösung von Konflikten herausgestellte Legitimation durch Verfahren funktioniert nur auf der Seite der Vorhabenträger, aber nicht auf der Gegenseite der Bürgerinnen und Bürger und der Bürgerinitiativen, auch dann nicht, wenn in den vorgelagerten Stufen noch so intensive Beteiligung stattgefunden hat. Aufgrund der langen Dauer der Verfahren gibt es kaum personelle Kontinuität.

 

Dieser Legitimationsbruch besteht auch bei mehrstufigen Bremer Beteiligungsprojekten wie dem Verkehrsentwicklungsplan und dem Flächennutzungsplan. Beide sind mit guter Bürgerbeteiligung erstellt worden. Aber man darf nicht erwarten, dass bei der Umsetzung einzelner Bauvorhaben mit erneuter Beteiligung Gegner mit dem Hinweis auf die Beteiligung am Rahmenplan von Protesten oder Klagen abgehalten werden können. Die Chancen der späteren Akzeptanzgewinnung durch frühzeitige Beteiligung sind auch hier gering. Dennoch ist die Beteiligung an solchen Rahmenplanungen nicht sinnlos. Sie dient nur nicht der Akzeptanzgewinnung bei den letztlich betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, sondern einer breiter ausgelegten Ideensammlung und erfordert daher im Detail andere Vorgehensweisen. Bei großen Infrastrukturprojekten gelingt allerdings auch das kaum.

 

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass bei Großprojekten die akzeptanzfördernde Wirkung frühzeitiger Bürgerbeteiligung von der Politik häufig überschätzt wird. Dies gilt nicht für die von der VDI 7000 empfohlene frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung über eine situationsbezogene Stakeholderanalyse. Die TÖBs wissen sehr wohl um die hier angesprochenen Zusammenhänge. Ein Verzicht auf frühzeitige und umfassende Information provoziert nicht nur deren Kritik, sondern erhöht auch das Erfolgsrisiko von Klagen. Umgekehrt ist aber eine solche Information keine Garantie für deren Akzeptanz Das Beispiel des Dialogforums zur A 33 Nord hat gezeigt, dass die Umweltverbände hin- und hergerissen sind zwischen der Kenntnis der engen Gestaltungsspielräume der Vorhabenträger in den späteren Phasen und der erwarteten Solidarität mit Bürgerinitiativen vor Ort.

 

 

 

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